Interne Unterlagen zeigen, wie der neue Ost-Beauftragte Marco Wanderwitz und der Berliner CDU-Chef die Einschätzung des Mietendeckels des Innenministerium beeinflussten. Eigentlich äußern sich Bundesministerien nicht zu Länderangelegenheiten – mit einer Ausnahme.

Die CDU im Bundestag will den Berliner Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Beamte des Innenministeriums haben CDU-Politikern zuvor auf Anfrage Argumentationshilfen geliefert, warum der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig sei. Das zeigen interne Unterlagen, die wir per Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten haben. Mithilfe von E-Mails aus Horst Seehofers Ministerium können wir rekonstruieren, wie die Haltung der Bundesbehörde zu einem Landesgesetz zustande gekommen ist.

Die rechtliche Einschätzung des Innenministeriums hängt eng mit Marco Wanderwitz zusammen. Der neue Ost-Beauftragte der Bundesregierung hatte bis vor kurzem noch einen Job im Bundesinnenministerium. Als parlamentarischer Staatssekretär war der CDU-Politiker für das Thema Bauen zuständig. In dieser Funktion lässt Wanderwitz von seinem persönlichen Referenten am 31. Juli 2019 ein Gutachten bestellen. Der Auftrag: Es solle die Frage geprüft werden, „wie verfassungsrechtlich eine […] bundesgesetzliche Mietrechtszuständigkeit begründet […] werden kann.“

E-Mail des Assistenten des Parlamentarischen Staatssekretärs Marco Wanderwitz (PStW)

Zehn Tage später, am 9. August, erhält Wanderwitz ein dreiseitiges Gutachten, das wie von ihm gewünscht begründet, warum der Mietendeckel verfassungswidrig sei. Das ministeriumsinterne Gutachten führt aus, dass ausschließlich der Bund die Kompetenz habe, auf dem Gebiet Gesetze zu erlassen.

Eine ergebnisoffene Bewertung?

Das ist eine bis dato neue Einschätzung im Ministerium: Nach einer früheren Einschätzung des Hauses vom 20. Juni 2019 ist der Mietendeckel nur dann verfassungswidrig, wenn der Bund für diesen Bereich zuständig ist. Der zuständige Beamte empfahl jedoch, eine Bundeskompetenz nicht zu betonen, da sonst politischer Druck auf das Ministerium zukommen könnte.

Interne Bewertung des Mietendeckels

Interne Bewertung des Mietendeckels

Daneben stellte der Gutachter fest, dass die Verfassungskonformität des Mietendeckels unklar sei und nur das Bundesverfassungsgericht diese klären könne.

Interne Bewertung des Mietendeckels

Interne Bewertung des Mietendeckels

E-Mail von Wanderwitz an Berliner CDU-Vorsitzenden

Laut Akten geschieht dann erst einmal zwei Monate nichts. Bis am 21. Oktober der CDU-Hinterbänkler Kai Wegner eine E-Mail an Innenminister Horst Seehofer schreibt. Seinen Parteikollegen Wanderwitz setzt er in CC. Wegner, der auch Vorsitzender der Berliner CDU ist, bittet den Minister um eine rechtliche Einschätzung zum Mietendeckel. Vor allem interessieren ihn zwei Fragen: Hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet und könnte damit das Land Berlin nicht mehr tätig werden? Und ist das Deckeln der Miete mit dem Recht auf Eigentum aus Artikel 14 des Grundgesetzes vereinbar?

Wanderwitz antwortet auf Wegners Mail. Außerdem wird im Innenministerium ein noch ausführlicheres, 13-seitiges Gutachten erstellt. Die Mail von Wanderwitz wird zu einigen Medienberichten führen. Die Beurteilung des BMI fällt vernichtend aus: Der Mietendeckel sei verfassungswidrig. Laut rbb veröffentlicht die Berliner CDU – und nicht das Innenministerium – die Nachricht mit einer rechtlichen Einschätzung des Ministeriums zum Berliner Mietendeckel. Ein ungewöhnlicher Vorgang. Kai Wegner und Marco Wanderwitz sind Parteifreunde, in den E-Mails duzen sie sich. Beide sind in einer Arbeitsgemeinschaft der Unionsfraktion im Bundestag.

Marco Wanderwitz, 2. von links und Kai Wegner, vordere Mitte. Mitglieder der Arbeitsgruppe Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag – CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag/Michael Wittig Creative Commons-Lizenz CC BY-ND-4.0

Marco Wanderwitz, 2. von links und Kai Wegner, vordere Mitte. Mitglieder der Arbeitsgruppe Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag – CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag/Michael Wittig Creative Commons-Lizenz CC BY-ND-4.0

Wie uns das Innenministerium auf Anfrage mitteilt, weiß es nicht, wie die rechtliche Einschätzung an die Öffentlichkeit gelangt ist. Ein weiteres Vorgehen in dieser Sache habe es auch nicht in Betracht gezogen. Wie genau das Gutachten entstanden ist, ist unklar, da es keine dokumentierten internen Abstimmungen dazu im Innenministerium gibt. Selbst das Datum und die Namen der Gutachter:innen sind auf der rechtlichen Einschätzung nicht zu finden.

Was klar ist: Auf Grundlage des vorigen, internen Gutachtens beantwortet Wanderwitz die E-Mail an Wegner. Von den 12 Abschnitten der Zusammenfassungen finden sich 11 in der E-Mail an Wegner. Das zeigt unsere Analyse (als PDF). Nur ein Abschnitt fehlt:

„Der Gesetzentwurf dürfte geeignet und erforderlich sein, den o.g. Zweck [Begrenzung der Miethöhe der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken] zu erreichen.“

Es ist die einzige positive Beurteilung der Gutachter:innen. Das Innenministerium lässt sie in der Mail an den Berliner CDU-Chef unter den Tisch fallen. Gegenüber FragDenStaat erklärt das Innenministerium, dass die rechtliche Bewertung ergebnisoffen vorgenommen wurde. Links:

Der Beitrag erschien zuerst im Blog von FragDenStaat und wurde vom Tagesspiegel und Neues Deutschland aufgegriffen.